Bewusstsein
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Wie funktioniert Psychotherapie?

Das erste Mal stellte ich mir diese Frage im jungen Alter von achtzehn Jahren. Damals beschloss ich jemanden zu fragen, von dem ich annahm, dass er es wohl wissen müsse. Ich fragte einen Psychologen: „Wie funktioniert Psychotherapie?” Doch ich wurde eines Besseren belehrt - er konnte es mir tatsächlich nicht erklären! Ich war damals zugegeben etwas erstaunt darüber - und heute? Heute auch - aber mittlerweile kann ich es besser verstehen. Ein Psychotherapeut muss das nämlich nicht zwingend wissen. Nein, seine Aufgabe ist das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun oder zu sagen. Zu wissen was und warum er es tut, ist dabei theoretisch gar nicht von Interesse.

In der Praxis, ja in der Praxis sieht das dann vielleicht doch etwas anders aus. In der Praxis war dieser Psychologe - na sagen wir mal - nicht gerade der hellste Stern am Firmament, was sich leider auch in seinen mageren Erfolgen zeigte. In der Praxis, wäre es also dann möglicherweise doch ganz gut, wenn man weiß, was man tut. Und so erzähle ich ihnen nun meine Sicht der Dinge.

Was will man mit einer Psychotherapie im 'Normalfall' erreichen? Wie lautet das Ziel?
Man will das subjektive Wohlbefinden eines Menschen verbessern - man will ein höheres Maß an geistiger Zufriedenheit erreichen. Wie kommt man vom Ist-Zustand zum Soll-Zustand? Ob ihr es glaubt oder nicht: mit einer Veränderung. Ohne Veränderung verändert sich nichts. Banal, oder? Aber ich verrate ihnen: die allermeisten Menschen verstehen das nicht. Glauben sie nicht? „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.”, sagte einst Albert Einstein. Und gerade ich verstehe das so gut, weil ich selbst mal so verrückt war. Über zehn vergebliche Entzugsversuche von Opiaten machte ich, obwohl ich insgeheim wusste, dass sich an den psychischen Ursachen nichts, aber auch gar nichts verändert hatte. Ich frage sie: Wieso sollte derselbe Input zu einem anderen Output führen? Aber genau dieses zu glauben ist zutiefst menschlich. Genau hier befinden wir uns sehr nahe dem menschlichen 'Reaktor' der Subjektivität, der Widersprüchlichkeiten und illusionären Ähnlichkeiten, von welchem ich auch in meinen eBooks ausführlich erzähle.

Was möchte man nun im Laufe einer Psychotherapie verändern? Was bestimmt unsere Zufriedenheit?
Die Antwort finden wir in unseren Gefühlen. Womit wir nun zur ersten kleinen Hürde im Prozess des Verstehens kommen. Die Frage lautet: Was bestimmt unsere Gefühle?
Kurz und knapp: Es sind unsere Bewertungen. „Ich finde das gut”, „das macht mir Angst”, „das bereitet mir Freude”, sind typische Bewertungen, die in Verbindung mit Gefühlen stehen. Und genau diese Bewertungen sind es auch, die es zu verändern gilt.

Nehmen wir an, diesen Text liest ein Mechaniker. Er fragt sich: „Wo soll ich meinen Schraubenschlüssel jetzt ansetzen?”
Dazu möchte ich eines der am einfachsten zu therapierenden psychischen Probleme als Beispiel anführen: eine Spinnenangst.
Die dahinterstehenden Bewertungen sind wahrscheinlich: "Spinnen sind gefährliche, fremdartige und angriffslustige Tiere, die mit ihren acht Beinen blitzschnell auf meinen Körper klettern und ihr tödliches Gift injizieren können." Die phobische (ängstliche) Person hat aufgrund ihrer Bewertungen vielleicht Probleme in ihrem Job, hält sich womöglich des Öfteren an Orten auf, an denen es Spinnen gibt und möchte ihre Furcht jetzt reduzieren.

arachnophobie

Wie verändert man ihre Einstellung zu Spinnen nun in eine 'gemäßigtere' Einstellung? Meine Antwort ist hier fast immer dieselbe: Man nimmt den 'Leidenden' an der Hand und führt in behutsam in die Realität. Man lernt ihm, wie er mit der Situation umgehen kann und senkt das Irreale in seinen Bewertungen.

Viele Psychologen meinen, dass man Klienten dabei ein Stück weit 'unter Realität', also im Falle der Spinne zu einer Untertreibung der möglichen Gefahren führen sollte. Davon möchte ich aber - in den allermeisten Fällen zumindest - dringend abraten. Ich behaupte sogar, dass diejenigen, die das lehren, die Psyche nicht in ausreichendem Maße verstehen. Dass sie dabei die zum Teil sehr fein differenzierten unbewussten Bewertungen außer Acht lassen, ein gewagtes Spiel mit dem Vertrauensverhältnis zum Klienten eingehen und obendrein die nächste vorprogrammierte Enttäuschung verstärken. Es mag zwar ein stärkeres 'Wachrütteln' zur Folge haben, jedoch auch ein unglaubwürdigeres. Ich denke mir dazu immer:

„Leute, was habt ihr denn alle für ein Problem mit der neutralen Mitte?” Um die Realität kommt man nicht herum. Realität und Ausgeglichenheit liegt in der emotionalen Mitte und dort sehe ich in den allermeisten Fällen auch das Ziel der Psychotherapie!

Nun gut, führen wir die unter der Furcht leidende Person (das Wort 'Klient' mag ich nicht so gerne) nun in die Realität. Es gibt zwei Wege, wie man das umsetzen kann: entweder mit Worten oder mit Taten - im Idealfall mit beidem. Ziel ist, wie gesagt, in jedem Fall die Neubewertung - ein 'Umlernen' des menschlichen Gehirns, ein 'Umlernen' des neuronalen Netzes.

Was denken sie? Welche Fähigkeiten sollte ein Psychotherapeut mitbringen? Dazu eine kurze Geschichte: Ein junger Mann wollte seiner Freundin helfen und ihr die Angst vor Spinnen nehmen. Sie saß gerade an einem Tisch und als sie sich von ihm wegdrehte, setzte er ihr eine 5 cm große Spinne auf ihren Unterarm. Er wollte ihr damit zeigen, wie harmlos diese Spinnen doch sind. Der Stuhl flog fast bis ins Nebenzimmer, die Spinne fast bis zur Decke und sie beinahe in die Glasvitrine gegenüber.
Möglicherweise hatte dem Privat-Therapeuten an dieser Stelle etwas gefehlt. Und er hatte es doch nur gut gemeint. Mit einer Konfrontationstherapie war er auch schon sehr richtig gelegen, nur bei der Ausführung haperte es etwas. Könnte es vielleicht an fehlender Geduld und Einfühlungsvermögen gelegen haben? So sollte man es - und da sind wir uns hoffentlich einig - jedenfalls nicht machen.

Für viele nicht verständlich, bedarf es oft einer riesigen Geduld um eine ängstliche Person an das Objekt ihrer Angst heranzuführen. Jede neue negative Erfahrung kann die Ängste verstärken und einen Rückschlag für die Therapie bedeuten. Vor allem eine negative Erfahrung mit der Therapie selbst ist kritisch, da dies ein endgültiges Aus für jedwede Therapie bedeuten kann.

Der zweite mögliche Weg ist die Sprache. Auch dazu eine kleine Geschichte - diesmal über mich selbst:
Als Teenager hatte ich Flugangst. Ich hatte nur wenig Vertrauen zur Technologie, die in Flugzeugen zum Einsatz kommt und bei meinem ersten Flug zitterte ich wie Espenlaub. Ein paar Jahre nach diesem Flug erzählte mir ein Bekannter, dass in einem Flugzeug jedes System mindestens doppelt und in manchen Fällen sogar vierfach abgesichert ist. Die Folge: Ich verlor den größten Teil meiner Angst. Zusätzlich las ich im Internet, dass Flugzeuge auch ohne Triebwerk noch sicher landen können, sofern eine Landebahn gefunden werden kann. Das Resultat: Ich hatte nie wieder mit Flugangst zu kämpfen. Das Wissen hat mich geheilt.

Wenn wir das nun auf die Spinnenphobie umlegen, bedeutet das: Insbesondere das Verhalten der Spinne zu verstehen. Warum wohl trauen sich Natur- und Tierforscher so nahe an Wildtiere heran? Nicht nur weil sie neugierig sind. Natürlich, weil sie ihr Verhalten verstehen. Sie wissen sehr gut, was sie sich erlauben können und was nicht. Zu behaupten, dass ein Tier generell gefährlich ist, ist ganz einfach falsch. Das Gefährliche ist hier wohl der Mensch, der diesen Blödsinn verbreitet - und das vergrößert u.U. den Graben zwischen Mensch und Tier. Es ist die Situation - der Kontext - der gefährlich sein kann. Und das gilt nicht nur für Tiere, sondern das ist allgemeingültig!

Nun, der grundlegende Prozess einer Psychotherapie ist geklärt. Was aber jetzt noch fehlt, ist das, was ich als 'Vernetzungstiefe' bezeichne. Stellen sie sich dafür die Wurzeln eines Baumes vor. Jede Bewertung im Gehirn ist wie eine Baumwurzel mehr oder weniger tief in ihrer Umgebung verankert. Auf die Spinnenphobie übertragen bedeutet das: Die Furcht kann oberflächlicher, unabhängiger und differenzierter sein, was sie einfacher zu therapieren macht oder sie kann tiefsitzende Funktionen erfüllen, von denen die Psyche niemals ablassen wird. Die Frage ist: Was tun im letzteren Fall?

Erinnern wir uns nun nochmal an das Ziel der Therapie: Veränderung für mehr Zufriedenheit. Was aber wenn sich die Psyche nicht ändern will oder kann?
Ja dann ist genau diese Erkenntnis das Ziel. Dann ist sie die angestrebte Veränderung - eine Veränderung des Sich-selbst-Verstehens - eine Veränderung, die die gewünschte Zufriedenheit herstellt. Sie neutralisiert das Problem der Spinnenphobie in unserem Beispiel. Der Betroffene stellt sich hinter seine Furcht und begreift ihre Wichtigkeit!

Und genau das sind die beiden grundlegenden Richtungen, die man in einer Therapie einschlagen kann: Entweder man kann das Selbst verändern oder man verändert das Sich-selbst-Verstehen (wobei letzteres aber auch Teil des Selbst ist). Bei beiden ist ein Akzeptieren oder Annehmen eines Zustands das Ziel. Und auch hier fällt mir zum Abschluss noch ein Sprüchlein ein:

Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg kommen.

Christoph Eller

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